Story des Monats

September - Oktober 2016


Daß der Jazz in den heimischen Medien eine besonders große Rolle spielt, kann man nicht unbedingt behaupten – hin und wieder wird ein zeitgenössisches Konzert besprochen, aber der Großteil der 100-jährigen Geschichte der letzten neuentstandenen Kunstform wird nur von Spezialisten beachtet....
So ist es fast sensationell, daß man im KURIER vom 6.9.2016 eine fast liebevolle und höchst gelungene Besprechung einer Neuübersetzung eines der wenigen echten Klassiker der Jazz-Literatur finden kann – Eddie Condons Autobiographie mit dem unendlich passenden Titel: "Jazz – wir nannten's Musik".
Der einzige (kleine) Wermutstropfen steckt in der untenstehenden Überschrift – es stimmt, in den Jahren vor Erfindung probater Kampfmittel gegen die Ratten waren die zu Recht unbeliebten Nager eine universale Plage. Sie rannten über die Bühne des "Moulin Rouge" während die Mädels die Beine warfen, und der Frosch in der "Fledermaus" plauderte zur Silvester-Vorstellung mit einem kleinen Vierbeiner, während er an der Flasche nuckelte....
Die Rattenlöcher waren in diesen Zeiten allüberall – und nicht auf den Jazz beschränkt....
Als ich den Autor PETER PISA um die Erlaubnis bat, seinen Artikel als "Story des Monats" zu präsentieren, meinte er: "......vielleicht sollt ich wieder mal ins JAZZLAND kommen. War schon Jahre nicht da...." Dieser Meinung kann ich mich nur anschließen – wir freuen uns auf ihn....
 
Der Mann, der den Jazz aus den Rattenlöchern holte:
Eddie Condon
 
Eddie Condon und Tochter, Elvis Presley
Gemeinsamer Auftritt in TV-Show, 1957:
Eddie Condon mit Tocher Maggie und Elvis Presley
Photo © Privatarchiv Condon / kurier.at
 

Die neu aufgelegten Erinnerungen des Jazz-Musikers Eddie Condon sind noch immer ansteckend.

Eddie wer?

Es gibt keinen Hit, der mit ihm untrennbar verbunden ist. Er war kein virtuoser Solist am Banjo oder an der Gitarre, und eine "neue" Musik hat er auch nicht erfunden.

Eddie warum also?

Dass die Zeitung New York Daily News seinen Tod mit der Schlagzeile meldete "The Man Who Lived Jazz", das kommt der Antwort schon recht nah.

Eddie Condon (1905 – 1973) organisierte den Jazz.

Er war der Erste, der dafür sorgte, daß schwarze und weiße Musiker gemeinsam Platten aufnahmen (1929).

Er selbst war mit Fats Waller im Studio.

Er holte den Jazz – "seinen" aus New Orleans abgeschauten Chicago-Jazz – aus den Kellerlokalen, in denen im Publikum mitunter auch Ratten saßen, und führte ihn nach New York in die Konzertsäle, bis in die Carnegie Hall (und ins Fernsehen).

Zuhörer Ravel

Über Eddie Condons Autobiografie "Jazz – Wir nannten's Musik" (in den USA 1940 erstmals erschienen und 1960 ins Deutsche übersetzt) lässt sich nicht sagen, dass sie Sensationelles enthält.

Außer, daß das Buch Generationen infizierte.

Condons Liebe zum Jazz ist nach wie vor ansteckend.

Die Neuausgabe ist jetzt mit Fotos aus dem Privatarchiv der Familie Condon angereichert worden.

YouTube ist hilfreich beim Entdecken.

Jimmy Noone mit den goldenen Klarinetten-Klappen: Maurice Ravel hörte ihm fassungslos zu, wie er endlose Chorusse über Four Or Five Times improvisierte.

Oder Jazz-Pianist Joe Sullivan, der mit seiner Version von Gershwins I've Got a Crush on You in die Hitparade kam: Er hatte große Hände, dass er eine Dezime spielen und zur gleichen Zeit auch noch sein Glas Whiskey halten konnte.

King Oliver und Louis Armstrong hoben ihr Kornett, Johnny Dodds auf der Klarinette, Lil Hardin am Piano ... Zitat:

"Die ersten Töne des Canal Street Blues trafen mich. Beim ersten Klang war ich hypnotisiert. Jeder spielte, was er spielen wollte, und alles war so zusammengemischt, als habe jemand das alles mit einer Logarithmentafel errechnet ... Armstrong schien zu hören, was Oliver improvisierte, und es zur gleichen Zeit wiederzugeben. Das schien unmöglich, aber es war wahr."

Eddie Condon erinnert sich mit großer Wärme – in mehreren Anekdoten besonders an seinen Freund Bix Beiderbecke mit dem Kornett, einem der einflussreichsten weißen Jazzmusiker (Singin' The Blues).

Markenzeichen waren nicht nur seine halb zerrissene Schirmkappe und der zerschlissene grüne Mantel. Sondern vor allem ein falscher Schneidezahn.

Der fiel ihm oft aus dem Mund, gern während eines Konzerts, dann lagen alle Musiker suchend auf dem Boden. Denn ohne Zahn war Weiterspielen unmöglich.

Ein Zahnarzt hätte das Ding wohl befestigen können, aber Beiderbecke ging nicht zum Zahnarzt. Dafür hatte er keine Zeit.

Nur für Jazz.

Eddie Condon:
"Jazz – wir nannten's Musik"
Vorwort von Götz Alsmann und Maggie Condon.
LangenMüller Verlag.
368 Seiten. 25,90 Euro.
KURIER-Wertung: ****


© Peter Pisa, kurier.at, 06.09.2016 - Vorwort: © Axel Melhardt
Story