Story des Monats

Juli - August 2009


Kapitel 2 einer (möglichst) langen Serie .....
Axel Melhardt Axel Melhardt plaudert:

Jazz - ein Jungbrunnen?

Dusko Goykovich Dusko Goykovich, Jimmy Woode, Bobby Jones
Dusko heute Dusko 1974
v.li.: Dusko Goykovich, Jimmy Woode, Bobby Jones

Wenn man sich den DUSKO GOYKOVICH etwas näher ansieht, dann könnte einen der blanke Neid fressen - und wenn man nur ein ganz klein wenig abergläubisch ist, dann würde man das Kreuzzeichen schlagen.

Wer sich im Jazz auskennt, der weiß, daß der gute Mann Jahrgang 1931 ist und wer dann noch eine gediegene mathematische Ausbildung hat, der kann sich ziemlich mühelos ausrechnen, daß Dusko heuer am 14.Oktober 78 (achtundsiebzig) Jahre alt wird.

Und er sieht aus wie ein mittlerer Fünfziger - allerhöchstens.

Na gut, wird der Pessimist sagen - der liebe Mann lebt eben extrem gesund, gönnt sich keine Sünde, lebt fett-, nikotin- und alkoholfrei, turnt jeden frühen Morgen bei jedem Wetter vor dem offenen Fenster mindestens dreieinhalb Stunden, geht zeitig zu Bett und unternimmt pro Saison mindestens zwei Wallfahrten zu einem gepriesenen Wunderort mit einschlägig ausgebildetem Guru.

Doch diese Theorie bricht sofort in sich zusammen, wenn man den (jungen) Mann ein wenig genauer beobachtet: er ißt ganz normal, trinkt hin und wieder ein zufällig vorbei kommendes alkoholisches Getränk, pafft vergnügt an seiner Marlboro und wenn der zweite Set im JAZZLAND vorbei ist, eilt er keineswegs flugs in Richtung Federbett, sondern plaudert noch munter und vergnügt mit seinen Kollegen über die komplizierten Changes und den Ablauf des nächsten Abends . . .

In ganz alten Bluesaufnahmen - von ROBERT JOHNSON zum Beispiel - da kann man hören, daß ein Künstler seine Seele dem Herren unter uns verkauft hat, um eine besonders schöne Frau - oder ähnliches - für sich zu gewinnen, aber so einen Unsinn wollen wir nicht glauben . . .. Irgendwie hat der Dusko die "Ewige Jugend" gepachtet, und wir sind ihm alle nur ein ganz wenig neidisch . . .

Oder ist er gar nicht so ein Einzelfall. . .???

Hält einen der Jazz vielleicht jung und frisch und ist er vielleicht ein Jungbrunnen, der einen bis ins hohe Alter frisch, munter und vital bleiben läßt?

Nehmen wir BENNY WATERS - der Saxophonist war Jahrgang 1902, spielte noch mit King Oliver und hinterließ der Jazzwelt einige bemerkenswerte Geschichten (die folgende Story habe ich von mir abgeschrieben):

"BENNY hatte ein Engagement für einen Samstag-Abend in Berlin. Er ließ sich das Flugticket schicken, ging zur AIR FRANCE und machte es zu Bargeld. Freitag Abend jammte er wie üblich in seinem Stammlokal in Paris, setzte sich anschließend in sein Auto, fuhr nach Berlin, absolvierte seinen Gig, setzte sich ins Auto und fuhr zurück nach Paris, wo er Sonntag Abend wieder in aller Frische im Quartier Latin auftrat.

Dies soll sich um 1982 abgespielt haben - BENNY war also im zarten Alter von 80 (achtzig) Jahren.

Seine Wien-Auftritte spielten sich folgendermaßen ab: er begann mit dem Thema, etwa am Tenorsax, dann blies er über die Nummer drei bis vier Chorusse, ein Pianosolo-Chorus von HUMBERT AUGUSTYNOWICZ, dann zwei Chorusse BENNY am Sopransax, dann ein Gitarrenchorus von GERD BIENERT, dann BENNY an der Klarinette, ein kurzes Baßsolo von WALTER STROHMAI ER, dann BENNY drei Chorusse am Alt, schließlich ein kurzes Druminterlude von WALTER SCHIEFER, und schließlich noch vier oder fünf Chorusse BENNY, mit vollem Druck am Tenorsax. Die anderen Musiker hingen in den Seilen, knapp vor dem endgültigen K.O., welches ihnen dann schließlich der BENNY mit dem den Set abschließenden "Rapido" versetzte."

Später ist er dann nochmals im JAZZLAND aufgetreten: aber in den 90-ern war er ein gebrochener, alter Mann, der zwar noch immer - für sein Alter - grandios spielte, aber doch nur mehr einen mickrigen Schatten der einstigen Vitalität zeigte.

Er war erblindet. Eine schlichte Staroperation - vollkommen harmlos und risikoarm - war ihm zum Verhängnis geworden. Die Ärzte hatten ihm eingeschärft, er dürfe nach dem Eingriff mindestens sechs Wochen nicht auftreten, um seine Augen zu schonen. Das tat er auch nicht - er wollte doch nur ein klein wenig zu Hause üben . . .

Aber Dusko und Benny sind keine Einzelfälle: in den Jazzclubs dieser Welt tummelt sich eine endlos lange Reihe von Musikern, die eigentlich längst das Altenteil genießen müßten, statt dessen aber wie die Teufeln swingen und alle Gesetze der Tugend und Enthaltsamkeit zu verhöhnen scheinen.

Denken wir an Luis Nelson, den Posaunisten aus New Orleans, an Homesick James, den Bluesbarden aus dem Mississippi-Delta, an die herrliche Sängerin Sheila Jordan, an unsere Freunde und Sax-Tenoristen Red Holloway und Benny Golson, an Junior Mance und Lee Shaw an zwei Pianos (bei uns: BÖSENDORFER) und und und . . .

Diese Liste ist herrlich lang und manchmal steigt in einem der Verdacht auf, daß unsere Musik unweigerlich jung und knusprig erhält, denn eine solch große Zahl an höchst lebendigen Veteranen findet man fast sonst nirgends . . .

. . . . . . außer vielleicht in der europäischen Klassik, die manche Unkundige als "ernste" Musik bezeichnen, um sie vom Jazz zu unterscheiden . . .

Und da gab und gibt es auch springlebendige Persönlichkeiten, die nach dem Geburtsschein längst im Rollstuhl sitzen müßten - Wilhelm Backhaus, Otto Klemperer, Yehudi Menuhin, Karl Böhm, Elly Ney, Nikolaus Harnoncourt und der heuer jubilierende Joseph Haydn.

Jetzt können wir nur noch darauf hoffen, daß nicht nur das aktive Jazzen so lebensverlängernd ist . . .

Wenn auch das Mitleben mit unserer Musik einen lange am Leben erhält, dann kann ich darauf hoffen in 25 Jahren dem DUSKO GOYKOVICH bei seinem 25.Gastspiel im JAZZLAND zujubeln zu können.


© Axel Melhardt
Story