Story des Monats

April 2003


 
FRIEDRICH GULDA
 
Friedrich Gulda Friedrich Gulda


Die folgende Story ist leider nicht mehr aktuell - der geniale Friedrich Gulda hat uns verlassen, aber ich möchte die Geschichte nicht "umschreiben", denn so stand sie im ersten JAZZLAND-Buch und so soll sie ihre Gültigkeit behalten, auch wenn der Fritz nicht mehr da ist.

Leider spielt er nur selten bei uns. Das verstehe ich, denn ein rastloses musikalisches Genie wie er, wird hin- und hergerissen. Die Veranstalter kämpfen um seine Aufmerksamkeit, das Publikum liegt ihm zu Füßen, und die wenigen Musikkritiker, die etwas von Musik verstehen - ja, angeblich gibt es welche, kürzlich soll einer knapp westlich des Sambesi geortet worden sein -, schreiben sich die Finger wund, um seiner Person einigermaßen gerecht zu werden.

Als er mich eines Tages im 'landl ansprach und meinte, er würde ganz gerne einmal hier auftreten, da fiel ich auf die sprichwörtlichen vier Buchstaben und aus allen Wolken.

GULDA verlangte selbstverständlich nach einem BÖSENDORFER, was damals für uns noch sehr, sehr kostspielig war (inzwischen hat uns BÖSENDORFER in Person der Herrn KAMPER und HÄFELE und des unverwüstlichen Dr.NIESSEN sozusagen adoptiert und ist mehr als kulant), aber für ihn war uns das selbstverständlich nicht zu teuer.

Er kam mit einem kleinen Wohnwagen angerückt, hatte einhundertundelf Instrumente und Geräte, Elektronik und Technik, Tonbänder und Flöten, Clavichorde und Zymbeln mit, und legte mit seiner Partnerin URSULA ANDERS eine sensationelle Session hin, die das mehr als nur zahlreich erschienene Publikum begeisterte. Er sang und zupfte, blies und perkussionierte, veränderte den Klang des Klavichords mit allen möglichen technischen Tricks in schier unmöglich geglaubter Vielfalt und irgendwann - ganz gegen Ende des Konzerts - schlug er ganz unvermittelt aus dem übervollen Klanggeschehen heraus am BÖSENDORFER plötzlich ein Tiefes F, welches durch die Menschenmenge hallte. Tobender Applaus, nicht enden wollend.

Nachher saßen wir erschöpft beisammen, und ich fragte schüchtern an - immer um die Unkosten besorgt -, ob es denn nun wirklich echt notwendig sei, am nächsten Tag den Flügel wieder neu stimmen zu lassen, wenn er doch ohnehin nur einen einzigen Ton am ganzen Abend auf dem herrlichen Instrument spiele.

"Du meinst, ich habe zu wenig Klavier gespielt?", fragte der Meister.

Ich wagte - schüchtern - zu nicken.

"Hast eigentlich recht", lachte er. "Laß ihn trotzdem stimmen."

Was ich natürlich tat und was sich bezahlt machte - und wie. GULDA legte einen Klavierabend hin, seine URSULA saß mehr oder weniger den ganzen Abend herum und tat das, was tags zuvor der BÖSENDORFER gemacht hatte, und GULDA spielte und spielte und spielte.

Es tut mir bis heute unendlich leid, daß dieser Abend nicht mitgeschnitten worden ist. GULDA ließ alles, was er pianistisch kann - und daß dies nicht wenig ist, werden sogar seine größten Neider bestätigen - heraus und schwang durch alle Jazzstile. Ohne Baß und Schlagzeug zeigte er, daß er zu den ganz Großen des Genres gehört. Es petersonte und tatumte, es wilsonte und garnerte, und es war unverkennbar GULDA, der einen förmlichen Triumphmarsch in Sachen Jazz losließ.

Ich habe - außer bei einem Solokonzert von EARL HINES in Nizza und unvergeßlichen Abenden mit den wirklich großen Jazz-Piano-Giganten - niemals etwas Ähnliches in Sachen Klavier gehört, ein Abend, der sicherlich nicht nur mir unvergessen geblieben ist.

Und nur deswegen, weil GULDA dem dummen JAZZLAND-Manager zeigen wollte, daß er mehr kann, als nur ein Tiefes F anschlagen . . .


© Axel Melhardt
Story