März 2003
1982 | 1997 |
1.Kapitel
Wenn es einen Musiker gab, auf den der Begriff "unmenschlich" paßte, dann war es sicherlich der liebe BENNY WATERS. Er wurde 1902 geboren, spielte bei so manchen herrlichen Aufnahmen von KING OLIVER schon um 1924 mit, und lebte viele Jahrzehnte in Paris, von wo er seine zahlreichen Tourneen unternahm.
Von ihm wird eine Geschichte erzählt, die ich - da ich sie aus mehreren Quellen gehört habe und Benny ganz gut kannte - für durchaus glaubwürdig halte, auch wenn sie schier "unmenschlich" klingt.
BENNY hatte ein Engagement für einen Samstag-Abend in Berlin. Er ließ sich das Flugticket schicken, ging zur AIR FRANCE und machte es zu Bargeld. Freitag Abend jammte er wie üblich in seinem Stammlokal in Paris, setzte sich anschließend in sein Auto, fuhr nach Berlin, absolvierte seinen Gig, setzte sich ins Auto und fuhr zurück nach Paris, wo er Sonntag Abend wieder in aller Frische im Quartier Latin auftrat.
Dies soll sich um 1982 abgespielt haben - BENNY war also im zarten Altern von 80 (achtzig) Jahren.
Seine Wien-Auftritte spielten sich folgendermaßen ab: er begann mit dem Thema, etwa am Tenorsax, dann blies er über die Nummer drei bis vier Chorusse, ein Pianosolo-Chorus von HUMBERT AUGUSTYNOWICZ, dann zwei Chorusse BENNY am Sopransax, dann ein Gitarrenchorus von GERD BIENERT, dann BENNY an der Klarinette, ein kurzes Baßsolo von WALTER STROHMAIER, dann BENNY drei Chorusse am Alt, schließlich ein kurzes Druminterlude von WALTER SCHIEFER, und schließlich noch vier oder fünf Chorusse BENNY, mit vollem Druck am Tenorsax. Die anderen Musiker hingen in den Seilen, knapp vor dem endgültigen K.O., welches ihnen dann schließlich der BENNY mit dem den Set abschließenden "Rapido" versetzte.
Etwa "Sweet Georgia Brown" in einem Tempo, das für jeden Normalsterblichen (außer ALADAR PEGE und DOROTHY DONEGAN) fast unspielbar ist.
Leider ist BENNY in den letzten Jahren nicht mehr im JAZZLAND aufgetreten, denn mit 86 Jahren ist er wieder in die USA übersiedelt, da sich dort die Auftrittsmöglichkeiten wieder stark gebessert haben.
Aber vielleicht kommt er doch wieder nach Europa, vielleicht übersiedelt er noch einmal.
Bei ihm kann man gar nichts wissen.
2.Kapitel
Während ich diese Zeilen schreibe (1996 im Mai) ist Benny Waters Gott sei Dank noch immer aktiv. Er hat zwar im hohen Alter sein Augenlicht verloren, weil er - entgegen dem strikten Verbot der Ärzte, die ihm eine einmonatige Pause verordnet hatten - schon drei Tage nach einer Star-Operation wieder auf der Bühne stand. Er tourt aber trotzdem noch immer kreuz und quer durch die Weltgeschichte und hat seinen Wohnsitz wieder in die USA verlegt. Etwa im Jahre 1991 bereiste er wieder einmal Deutschland und wurde (natürlich jetzt schon als Beifahrer) in einen Autounfall verwickelt, bei dem er sich beide Beine brach. Fast 90 Jahre alt, blind, in einem fremden Land, mit beiden Beinen in Gips versäumte er gerade ein Konzert, am Tag nach dem Unfall saß er schon wieder am Bandstand und blies (höchstwahrscheinlich) seine jungen Kollegen quer durch Sonne und Mond.
1997 besuchte uns Benny nochmals im Rahmen des "Jazz Fest Wien 1997" - durch seine (sehr späte) Blindheit war er natürlich sehr gehandicapt, musikalisch aber immer noch "voll auf dem Dampfer". Zwischen und vor den Sets saß er in sich zusammengesunken bei Tisch, sobald er aber auf die Bühne gebracht wurde - was einigermaßen schwierig war, denn er ist sehr unsicher auf den Beinen - agierte er wie gewohnt in besten Showmanship. Er hat sich auf das Altsax konzentriert - und spielte mit 95 Jahren beinahe schöner (wenn auch nicht mehr so ekstatisch) als in den vergangenen Jahren. Er war ein echtes jazziges Naturwunder.
Er verließ uns 1998.