Story des Monats

März - April 2010


In der nun schon langen Reihe der "Stories des Monats" findet man so ziemlich das ganze erste JAZZLAND-Buch aus dem Jahre 1992 und einige neue Erlebnisse, die sich im und um das JAZZLAND herum ereignet haben, für die ich selbst zuständig bin. Bisher hatten wir nur einen "Gastautor" - unser Stammgast JIM GALLOWAY schrieb bei mir eine Kolumne für ein kanadisches Jazz-Magazin, die ich ihm ganz einfach frech entwendete.
Nun beginnt ein neues Kapitel - am Stammtisch schilderte kürzlich der zum absoluten Urgestein* zählende Schlagzeuger HORST BICHLER erste New-Yorker-Erlebnisse und wurde daraufhin sofort zum Abfassen der untenstehenden Zeilen verurteilt, was er perfekt und gekonnt unter gefährlich klingendem Knurren absolvierte.
Seine Kollegen sind hiermit sehr herzlich dazu eingeladen, ebenfalls in ihren Memoiren zu stöbern . . .
Axel Melhardt

* - "Urgestein" nicht etwa wegen seines Alters sondern nur wegen der unabdingbaren Festigkeit seiner rhythmischen Fähigkeiten . . .

George Wettlings Schlagzeug

George Wettling Programm Jimmy Ryan's Club 1968 Zutty Singleton im Ryan's 1968
George Wettling
v.l.n.r.: Buck Clayton tp, Bud Freeman ts, Dave Bowman p, G.W. dm
Programm Jimmy Ryan's Club 1968 Zutty Singleton dm im Ryan's 1968


Im Jahre 1968 kam ich zum ersten Mal als Schiffsmusiker auf der MS Europa nach New York und da natürlich speziell nach Manhattan. Das Gefühl war für mich als jungen Jazzer unbeschreiblich. Wer lebt noch von den großen Vorbildern? Wo spielen sie? Und vor allen Dingen - wie spielen sie usw.

Der erste Abend im "Jimmy Ryan's" in der 54th Street war natürlich gleich umwerfend: Die Traum-Besetzung: Max Kaminsky co, Tony Parenti cl, Zutty Singleton dm und einige mir damals noch nicht bekannte Musiker wie Bobby Pratt p und der legendäre Marshall Brown mit seiner ebenso berühmten Ventil-Posaune. Und wie sie spielten - als ob das Alter keine Rolle spielt (aber das habe ich in späteren Jahren noch oft erlebt!).

In der Nacht schrieb ich an Otti Kitzler, unseren Barrelhouse-Trompeter (ich war so aufgewühlt, daß ich sowieso nicht hätte schlafen können) folgenden Brief, um eine alte, weltbewegende Streitfrage endlich zu schlichten:

"Ich hatte doch recht: Zutty Singleton spielt eine Hi-Hat!!!" Also eine Charleston-Maschine, wie die mit einer Fußmaschine bedienten waagerecht angeordneten Becken in Wien in den 60-er Jahren hießen. Die Jazzpuristen wollten mir damals einreden, ein wirklich guter Schlagzeuger spielt im alten Jazz ohne Hi-Hat - für die war ich eben ein "Swingheini"!

Max Kaminsky erzählte mir an diesem Abend, daß eines meiner großen Vorbilder unter den Schlagzeugern, der legendäre Held unzähliger Eddie-Condon-Schlachten, George Wettling, nur ein paar Gassen weiter in "Bill's Gay Nineties" spiele.

Am nächsten Tag natürlich nichts wie hin. George spielte dort mit einem Trio: Klavier, Klarinette und er am Schlagzeug. Seine Einladung, einen Set zu spielen, nahm ich mit zitternden Knien an. Nachher nickte der Meister zufrieden und meinte: "It's all me!"

Bei der Verabschiedung fragte ich George, welches Getränk ich für ihn von der nächsten Karibik-Kreuzfahrt mitnehmen dürfe. "Eine Flasche französischer Cognac would be nice", war die Antwort.

Zwei Wochen später war ich abends wieder pünktlich mit dem Geschenk in der Kneipe. Kein George Wettling. Das Schlagzeug stand verlassen da. "Wo ist George?" fragte ich.

"Georgie has just passed away", war die Antwort.

Ich war wie vom Blitz getroffen. Was ich bei unserem ersten und einzigen Treffen nicht wußte: George hatte Kehlkopfkrebs im letzten Stadium und nur mehr einige Wochen zu leben.

Nach einigen Schreckminuten, der nächste Gedanke: was passiert mit dem Drum-Set mit dem berühmten "gw" auf der Baßtrommel? Der Lokalbesitzer meinte, seine Witwe würde das Instrument sicher verkaufen wollen. Mein Schiff stand in New York. Die Idee war natürlich verlockend, aber aus mir heute nicht mehr erinnerlichen Gründen kam die Transaktion nie zur Ausführung und das war vielleicht auch gut so .....

Denn viele Jahre später erzählte mir der New-Orleans Drummer Trevor Richards und vollkommen unabhängig davon auch die herrliche Ann Davison (die Frau von Wild Bill Davison) folgende Story:

George Wettlings Witwe hatte nach seinem Tod nichts Besseres zu tun, als möglichst viele alte Drumsets in New York aufzukaufen. Auf die Baßtrommeln malte sie in großen Buchstaben "gw" Und die geschäftstüchtige Dame fand viele Käufer, die bis heute wahrscheinlich der festen Meinung sind, sie besitzen das echte und einzig wahre Originalschlagzeug des legendären GEORGE WETTLING!


© Horst Bichler
Story