März - April 2001
Eddie "Lockjaw" Davis ts | Zoot Sims ts | Tiny Grimes g |
Meine Frau Tilly und ich saßen beim Nizza-Festival (als es noch ein herrliches Jazz-Festival war - also in den 70-er Jahren) selig in der ersten Reihe und hörten einem Giganten-Quartett der Sonderklasse zu. An zwei Tenorsaxophonen dröhnten EDDIE "LOCKJAW" DAVIS und sein absolut kongenialer Partner ZOOT SIMS, ein Star wie RAY BRYANT saß am Klavierstockerl und MILT HINTON und JO JONES spielten Bass und Drums.
Es war irrsinnig heiß, die Sonne prallte aus dem Fünf-Uhr-Nachmittags-Himmel. Trotzdem war JAWS wie immer überaus korrekt gekleidet: ein hellblauer Anzug, passende Krawatte; ZOOT hatte es sich mit abgeschnittenen Jeans und einem (natürlich) verschwitzten T-Shirt etwas bequemer gemacht.
Nach der Vorstellung des Themas stieg JAWS vom Podium herunter und setzte sich aufseufzend neben uns und hörte seinem Kollegen zu. Dann sagte er verwundert: "I don't know how he is doin' it. Playin that great with all that wrong fingerin'." (Ich weiß nicht, wie er das macht. Er spielt so phantastisch mit all den falschen Fingersätzen...)
Dann stieg er wieder hinauf, um seinen Freund als Solist abzulösen. ZOOT kam herunter, setzte sich zu uns, hörte begeistert zu und sagte schließlich: "I don't know how he is doin' it. Playin that great with all that wrong fingerin'."
That's Jazz.
Aber noch eine herrliche Geschichte ereignete sich bei dieser Session (die wie das ganze Festival damals von Richard M. "Dick" Sudhalter überaus geschmackvoll zusammengestellt wurde). Als nächster Programmpunkt auf dieser Bühne sollte der große Gitarrist TINY GRIMES auftreten. Er saß auf einem Stuhl neben der Bühne und spielte auf seinem Instrument - unhörbar, denn seine viersaitige Gitarre war nicht in den Verstärker eingestöpselt. Als Eddie wieder einmal neben uns saß, machte ich ihn darauf aufmerksam.
Eddie ging zum Tontechniker, dieser wiederum schlich sich hinter TINY, nahm das Kabel und steckte es in die entsprechende Buchse.
Plötzlich war Tiny zu hören.
Eine kleine Zwischenbemerkung: Tiny war ein genialer Musiker, aber er war nicht allzu schnell von Begriff, wie man so sagt. Ende der Zwischenbemerkung.
Er hörte plötzlich einen Gitarristen, beugte sich interessiert vor, um den neuen Musiker auf der Bühne auszumachen, fand keinen und lehnte sich nachdenklich zurück - immer noch perfekt zur Session passend mitspielend.
Nach längerer Zeit ging in seinem Gesicht die Sonne auf, breit grinsend fand er heraus, daß er selbst der geheimnisvolle Musiker war, rutschte ein wenig mit seinem Sessel in den Vordergrund, um einen besseren Kontakt zu den anderen Protagonisten herzustellen und setzte dann auf Jaws Zeichen hin zu einem grandiosen Solo an.
Was das mit der Überschrift "falsche Fingersätze" zu tun hat? Tiny begann in den späten 20-er Jahren als Banjospieler und behielt sein ganzes Leben auch auf der Gitarre die Banjo-Stimmung und daher auch die vier Saiten bei.
Das erklärt - zum Teil - seinen absolut eigenständigen Stil und seinen unverwechselbaren Sound.
Und wir können daraus lernen, daß große Jazz-Musiker nicht unbedingt ihr Geschäft "erlernen" müssen - auch Autodidakten haben ihren Platz in der so herrlichen vielfältigen Jazzgeschichte.