Story des Monats

Juli - August 2017


Kapitel 38 einer (möglichst) langen Serie .....
Axel Melhardt Axel Melhardt plaudert:

Manchmal erlebt man als Jazzfan kleine berührende Geschichten am Rande des täglichen Musikgeschehens – hier eine kleine Story über zwei Trompeter, die sich persönlich eigentlich kaum kannten ....
 
Two Trumpets
Art & Randy
 
Art Farmer Randy Sandke
Art Farmer (ca. 1998/99) Randy Sandke (2017)
 

Im April des Jahres 1999 kam ein überraschender Anruf von ART FARMER – nein, er wollte keinen weiteren Termin ausmachen (eine Woche im Juni war schon fixiert), sondern er wollte uns (meine Tilly und mich) zu einem Abend in der amerikanischen Botschaft einladen, wo er zusammen mit FRITZ PAUER zum hundertsten Geburtstag von Duke Ellington ein Konzert für Botschafter samt Entourage und weitere Mitglieder des diplomatischen Korps geben würde – "I want to see some people I like among all those....", sagte er und wir fühlten uns geehrt.

Das Konzert war kurz & herrlich – Fritz war grandios wie immer, Art war wundervoll – aber (wenn man ihn so gut kannte wie wir beide) man merkte kleine (sonst nie zu entdeckende) Anomalitäten..... – der eine lang gehaltene Ton wurde ein wenig bröselig und manche Höhe hatte nicht die gewohnte Schärfe und Klarheit – natürlich ein Gigant, aber mit sonst nie erlebten Schwächen....

Beim üblichen Geplauder nach dem Konzert bat der Herr Botschafter zu einem anschließenden Umtrunk in seine Residenz, doch im Gegensatz zu Fritz entschuldigte sich Art – "I am a little tired, you know!!!" – sehr diplomatisch beim Diplomaten, der ihm seine Limousine zur Heimfahrt anbot. Das war Art sehr willkommen, denn er lud seinerseits Tilly und mich zum Mitfahren ein, und dirigierte den einheimischen Chauffeur mit einem kleinen Trinkgeld zu einer anderen Adresse: Franz Josefskai 29!!!!

"Ich habe viel von Randy Sandke gehört", sagte er (auf Englisch), "aber ich habe ihn noch nie persönlich kennengelernt!"

So lernten sich der Großmeister des Modern-Jazz und einer der interessantesten und vielseitigsten der jüngeren (weißen) Spitzentrompeter unter der jahrhundertealten Ruprechtskirche am Franz-Josefs-Kai kennen und Art hörte dem um gute 20 Jahre jüngeren Kollegen zu und Randy nahm sich vor, so bald wie möglich einmal ein Konzert von Art zu besuchen – wozu es leider nicht mehr kommen sollte.

Nach dem Set ging Art fast versonnen durch unsere diversen Räumlichkeiten, schaute sich die unzähligen Brunner-Fotos aufmerksam an (wie als ob er sie noch nie gesehen hätte) und ließ sich von mir den einen oder anderen Kollegen vorstellen oder berichtete von manchen lustigen Vorfällen aus der Vergangenheit seiner langen Karriere.

Nachdem er noch zwei oder drei Nummern des zweiten Sets bewundert hatte, verabschiedete er sich: "Looking forward to the June-Gigs with my Band and Alan Smith – I have not seen him for 30 years...."

Dazu sollte es nicht mehr kommen.

Das waren die letzten Augenblicke von Art Farmer im JAZZLAND. In den USA verschlechterte sich sein Zustand rapide und sein Körper revanchierte sich für so manche Eskapaden, die sich der junge Art geleistet hat. Die Juni-Termine konnte er nicht mehr wahrnehmen - der weitgehend unbekannt gebliebene Alan Smith (der auch nicht mehr unter uns weilt) machte trotz seiner jahrzehntelangen Abwesenheit von der Bühne eine blendende Figur und nur die absoluten Kenner bemerkten, daß er kein routinierter Profi sondern ein frisch in Pension gegangener Universitätsprofessor war.

Art sollte nicht mehr nach Europa kommen – er verstarb im Oktober und wir spielten kurz mit dem Gedanken zu seiner Beerdigung über den Ozean zu fliegen – aber verwarfen die kostspielige Idee sehr bald.

Aber natürlich wollten wir ihm einen letzten Gruß senden – in Österreich schickt man einen Kranz, wenn man nicht persönlich Abschied nehmen kann, und Tilly meinte sehr bald, wir könnten doch den Randy Sandke bitten, in New York einen passenden Kranz für Art Farmer zu besorgen.

Randy – immer hilfsbereit wie er ist – sagte zu, und wir erfuhren erst später auf Umwegen, daß er sich an diesem Tag zum Aufbruch zu einer langen Tournee nach Europa vorbereitete, und es für ihn natürlich unsagbar kompliziert war, ein entsprechendes Gebinde (mit obligatorischer Schleife) zu organisieren.

Aber er schaffte es. Wir hatten ihm gesagt, er solle nicht sparen und in der festen Annahme, alles in den USA sei teurer, meinten wir so US$ 250.- könne er schon ausgeben – was er auch tat....

Nach dem Bericht der langjährigen Lebensgefährtin von Art (die sich jetzt endlich doch hin und wieder bei uns blicken läßt) wirkten alle anderen Blumengebinde neben dem JAZZLAND-Kranz ärmlich und viele unter der großen Trauergemeinde rätselten, von wem dieser wunderschöne Blumengruß eigentlich gewesen war....


© Axel Melhardt
Story