Story des Monats

Mai - Juni 2014


Kapitel 25 einer (möglichst) langen Serie .....
Axel Melhardt Axel Melhardt plaudert:

 
Free Jazz und der Blues
 
Martin Wichtl Martin Wichtl
Martin Wichtl saxes ... ... und hier beim Zaubern ...
 

Als ich 1972 begann, das Programm des JAZZLAND zusammenzustellen richtete ich mich nach meinem eigenen Geschmack – ich mischte traditionellen Jazz und Swing mit Blues und Boogie und stellte überrascht fest, daß diese für mich so verwandten Stile ziemlich verschiedene Fangemeinden ansprachen.

Der Eine stand auf die STORYVILLE und nicht auf den AL COOK und die Andere begeisterte sich für MARTIN PYRKER und konnte mit den PRINTERS nicht das Geringste anfangen.

Um die damals erschreckend leeren Sessel und Bänke im 'landl halbwegs zu verstecken begannen ich zögerlich die Fühler über die Grenzen des persönlichen Geschmacks auszustrecken.

Meine TILLY kam eigentlich von der Klassik her und hatte dadurch einen vielfältigeren Geschmack als ich, und auch aus dem Lager der Modernen waren nach dem skandalumwitterten Ausscheiden von KLAUS SCHULZ und seinen Freunden doch eine erkleckliche Anzahl von Stammgästen übriggeblieben, die ihre Vorlieben in eher freieren Spielarten des Jazz hatten.

So kam ich – zunächst verblüfft, erstaunt und schockiert, dann aber teilweise auch begeistert – mit dem Free Jazz und dessen Verwandten in Berührung.

Die Begeisterung rührte vor allen Dingen von der Begegnung mit MARTIN WICHTL her, dessen überragende Musikalität und ausufernde Expressivität meine starren Vorstellungen vom geordneten Ablauf musikalischer Vorgänge hinweg spülte – ich verstand von dem, was er da machte, allerhöchstens die Hälfte bis ein Viertel – aber irgendwie gefiel mir, was er mit GUS SEEMANN und HELMUTH KURZ-GOLDENSTEIN auf allen möglichen und unmöglichen Instrumenten produzierte....

Und doch nagten irgendwie permanente Zweifel an meiner frisch gefundenen Sympathie zu den neuen Tönen....

Welche Zweifel?

Bei einer Session im legendären "Hot Club de Vienne" im heute noch immer existierenden, aber als normales Restaurant "zweckentfremdeten" GOLSER G'MOA-KELLER gesellte sich ein Free-Jazzer (ob es einer der orthodoxen Masters oder einer der reformierten Artisten war, weiß ich nicht mehr – und es ist auch ziemlich wurscht!!!) zum Haufen der biederen Traditionalisten und blies auf seinem Instrument mit lauter Inbrunst die allerschlimmsten Töne.

Eine der "Klassiker" (Ehrenwort: ich weiß nicht mehr, wer es war) schlug vor, sich doch auf eine Nummer zu einigen, die man doch gemeinsam spielen könne.

Darauf der Freigeist: "Ich kenne keine Lieder..... Ich spiele frei....!!!"

"Na, dann spül' ma' an Blues...." kam die berühmte Rettungsbrücke, die in den letzten Jahrzehnten und auch in der Zukunft so manche Tragödie verhindert hat und verhindern wird.

"Des kenn I net......", meinte der Freitöner.

Da wurde der Mann der Tradition allmählich – wen wundert's – ein wenig unwirsch: "Dann blas ma Häns'chen Klein....!!!"

Doch das funktionierte auch nicht, denn der fortschrittliche Charakter gab zwar zu dieses Kinderlied a.) zu kennen und b.) auch singen zu können – doch auf seinem Instrument konnte er zwar beliebige Töne produzieren, diese aber nicht in einer bestimmten Sequenz (sprich: Melodie) anordnen.

Nochmals: er brachte auf seinem Instrument die unterschiedlichsten Töne zustande – allerdings ausschließlich nach den Zufallsprinzip....

Das war in den späten 50-er oder frühen 60-er Jahren meine erste Begegnung mit der freien Improvisation gewesen, und ich mußte erst MARTIN WICHTL und seine Freunde kennenlernen, um zu erfahren, daß dieser Schock nicht symptomatisch für eine ganze Musikrichtung war.

Denn......

Irgendwann in den ersten Monaten des JAZZLAND formierte sich auf der kleinen Bühne eine traditionelle Band – und es fehlte die Klarinette (die man zur Trompete und Posaune einfach unabdingbar braucht, um einen vollen Sound zu erzielen – so starr sind da die Bräuche).

Und es kam der MARTIN WICHTL mit seinem Sopransaxophon (das man als Klarinettenersatz seit langem wohlwollend anerkannt hat)....

Und er spielte und improvisierte über den arabischen Scheich wie ein zweiter Pee Wee Russell, und ich kam zu der wohltuenden Erkenntnis, daß frei improvisierende Musiker auch Könner & Kenner sind und hatte damit meinen Frieden mit der halben Jazzwelt geschlossen.

Auch dafür (und für vieles andere auch) werde ich diesen liebenswerten, hochintelligenten und dabei unverdrossen kauzigen Menschen nie vergessen – ein eigenwilliges musikalisches Genie, ein brillianter Geist und ein sich aufopfernder Freund in allen Lebenslagen....

P.S.: Ein kleines Nachwort, welches die treuen Anhänger der traditionelleren Jazzstile ein wenig beruhigen sollte, die durch manche Journalisten-Aussagen zunehmend frustriert werden..... (Beispiel gefällig: "das Konzert des Musikers XYZ war zwar ausgezeichnet, aber es war keineswegs innovativ und ist daher absolut nicht zu empfehlen!!!")

In der Europäischen Klassik gab es ja in den letzten Jahrhunderten eine ähnliche Entwicklung wie im Jazz – vom strengen Aufbau eines J. S. Bach bis zu den freien Klängen der Gegenwart – aber wenn man sich Spielpläne der Opernhäuser zwischen Wien & Sidney und der Konzertsäle zwischen San Francisco und Wladiwostok ansieht findet man prozentuell gesehen wenig Werke der letzten Dezennien auf den diversen Spielplänen.....

Also wird man auch in den Jazzkellern weiterhin voller Freude heiß und enthusiastisch und von mir aus auch uninnovativ swingen dürfen....


© Axel Melhardt
Story