Story des Monats

November - Dezember 2007


Allmählich müssen wir mit einer liebgewordenen Tradition brechen - bisher standen in dieser Rubrik vornehmlich Stories aus dem ersten JAZZLAND-Buch "Geschichte und G'schichtln", das im Jahre 1992 das 20-Jahres-Jubiläum des JAZZLAND markierte (und die restlichen werden hier natürlich folgen), aber wir haben das Büchlein nun fast "ausgeschlachtet" und es werden ab nun aktuelle und meist auch hoffentlich lustige Geschichten "eingestreut".
Zufälle in Jazz


#1 (1944 - 1973)

Irgendwann im Jahre 1944 wurden wir "ausgebombt" - ich schreibe das unter Anführungszeichen, weil die Jugend von Heute mit diesem Begriff nichts mehr anfangen kann. Das heißt nämlich, daß einem das Haus, in dem man lebte, entweder über dem Kopf weggeblasen oder unter dem Hintern weggepustet wurde - wie man will. Man stand plötzlich da, ohne Heim, ohne Möbel, ohne Bekleidung, ohne Besitz, ohne Bücher, ohne . . .allem. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ich kann mich natürlich an dieses Ereignis nicht erinnern, denn ich war ein zartes Jahr alt. Meine Mutter erzählte mir diese Ereignisse immer wieder, denn sie litt natürlich wie alle Menschen, denen ähnliches passierte, jahrelang - oder auch ein Restleben lang - unter diesem Schock.

Das Haus in der Unteren-Donau-Straße 25 gegenüber der Urania existierte nicht mehr, und wir (meine überaus scheidungswilligen Eltern) und ich am Arm und im Kinderwagen übersiedelten zu Bekannten in den Ersten Bezirk in die Hegelgasse.

Schwieriger war es, für die ebenfalls in diesem Haus befindliche Firma meines Onkels eine Bleibe zu finden - man suchte lange und übersiedelte schließlich in ein von den Bomben noch weitgehend unversehrtes Haus in der Zelinkagasse 14 an der Ecke zum Franz Josefskai, wo ich einen der faszinierendsten Personen meiner frühesten Kindheit kennenlernte - den Bürodiener Stocklaska (Vorname unbekannt), der ein überaus seltsames Hobby hatte - er stimmte Klaviere, was mich damals ungeheuer begeisterte, ich konnte ihm stundenlang zuhören - was aber mit dieser Geschichte eigentlich gar nichts zu tun hat.

Szenenwechsel - wir sind in den ausklingenden 60-er Jahren und die Heimstätte des klassischen Jazz in diesen Jahren - das legendäre "Riverboat" der Familie Fohler - hatte auch am allerneuesten Standort in der Schwarzspanierstraße diverse Schwierigkeiten. So beschloß die schon damals sehr rührige "Original Storyville Jazzband" mit ihrem noch rührigeren Manager Werner Christen sich um ein eigenes Lokal, einen eigenen Jazzkeller umzusehen. Nach längerem Suchen fand man auch eine Lokalität, die immerhin fast drei Jahre lang die Heimstätte der Band werden sollte - bis sie dann 1973 mehr oder weniger widerwillig ins JAZZLAND übersiedelte.

Im Keller des Hauses Zelinkagasse 14 an der Ecke zum Franz Josefskai . . .

Ende des Zufalles Numero Uno.



#2 (ca.1962 - 1972)
1.Kapitel

In den frühen 60-er Jahren besuchten mich öfters Freunde aus den Kreisen der Science-Fiction-Fans (fast so verrückte Leute wie die Jazzer) in Wien und nach einem Stadtrundgang saßen wir im Wirtshausgarten (eigentlich ein Restaurantgarten, aber das klingt ziemlich blöd) des "Lohengrin" unter der Ruprechtskirche. Wir aßen Spaghetti und ich kam mit dem akzentreichen Wirt ins Plaudern, man verstand sich sehr gut, er wollte mir den Keller seines Etablissements zeigen, aber der interessierte mich nicht, dann wollte er uns in sein Zweitlokal in Schönau an der Triesting zu einer Abendveranstaltung einladen - was wir ablehnen mußten, da wir zu siebent waren und nur über einen Wagen (den eines Freundes aus München - ich war noch unbeautot) verfügten.

"Kein Problem", meinte der freundliche Holländer, "ich borge Euch mein Zweitauto", was er auch tat. Allerdings resultierte das darin, daß wir zu viert im "Tempel der Nacht" (eine alte künstliche Grotte im örtlichen Schloß) saßen und auf unsere Freunde warteten, die in einer Gefängniszelle im 20.Bezirk schmachteten und uns verfluchten. Denn der freundliche Holländer hatte vergessen, sie mit den entsprechenden Wagenpapieren auszustatten und es außerdem verabsäumt sich geziemend vorzustellen. Mein Freund Kurt konnte den Herrn Polizisten noch so oft die Geschichte erzählen - sie glaubten ihm einfach nicht, daß man ihm ein ganzes Auto geliehen hatte, ohne Papiere und ohne Nennung des Namens des Besitzers - sie hielten ihn schlicht und einfach für einen Autodieb.

Die Bezeichnungen, mit denen er mich nach seiner Befreiung aus dem Kerker belegte (denn ich war als Rudelführer natürlich schuld) können aus rechtlichen Gründen hier nicht wiedergegeben werden . . .

2.Kapitel

Einige Jahre später hatte ich die Ehre im Büro von Simon Wiesenthal arbeiten zu dürfen. 1967 ging es um die Auslieferung eines KZ-Kommandanten aus Brasilien und nur die Ehefrau eines in Wien ansässigen Holländers konnte meinem Chef bei der Herbeischaffung der erforderlichen Papiere helfen - eine gewisse Frau Hollverv, deren Mann seit Jahren ein Restaurant am Franz Josefskai 29 leitete. Ob ich so nett wäre, fragte mich mein Chef, eine Verbindung zu dem angeblich schwer krebskranken Mann herzustellen - und ich wußte sofort, das war mein Freund mit dem zwielichtigen Zweitlokal in Schönau und dem berühmten und auch nicht ganz einwandfreiem Zweitauto.

Ich arrangierte ein Treffen zwischen meinem Boss und dem leider tatsächlich todkranken Holländer und lernte dabei zum ersten Male seinen gemütlichen Keller unter der Ruprechtskirche etwas näher kennen, der ab 1972 - wie man weiß - eine nicht ganz unbeträchliche Rolle im meinem weiteren Leben spielen sollte.



#3 (ca.1951 - 1979)

Schon 1945 erfüllten sich meine Eltern den einzigen beiderseitigen Wunsch - sie ließen sich scheiden. Allerdings nicht, wie es heute Gott sei Dank üblich ist, in bestem oder zumindest in beiderseitigem Einvernehmen, sondern sie bekriegten sich teilweise sehr heftig und daher folgerichtig auch teilweise auf meinem Rücken. Ich bekam meinen Herrn Papa daher nur selten zu Gesicht (was ihn - so glaube ich - nicht besonders traurig stimmte), aber so hin und wieder besuchte ich ihn doch in einer weitläufigen Wohnung in der Frankenberggasse 13 auf der Wieden. Ich wußte nicht allzuviel mit dem Deutschen Theater, mit antiken Briefmarken und Münzen und (zumindest damals noch nicht) mit dem Pferderennsport anzufangen, und er hatte nicht den blassesten Schimmer, womit man einen sieben- bis achtjährigen interessieren konnte - und so langweilte ich mich sehr ausführlich bei meinen seltenen Besuchen.

Zeitsprung in die 70-er Jahre - und einen räumlichen Sprung in den Keller unter dem Restaurant "Lohengrin", der inzwischen JAZZLAND hieß und zumindest musikalisch unter meiner Patronanz stand. Neben der Erstellung des Programms hatten meine Frau Tilly und ich primär die Aufgabe, die Musiker bei Stange und Laune zu halten und den Gästen beim Eintritt den entsprechenden Obolus abzuknöpfen. Allmählich schälten sich unter den Stammgästen auch diejenigen Dauerfans heraus, die aktiv an der Gestaltung des gemeinsamen Stammlokals mitzuwirken gedachten. Hier gab es natürlich auch einen "primus inter pares", der sich durch besonderes Geschick und ebensolchen Eifer von den anderen abhob - ein gewisser Heinz Krassnitzer, der bald zu unserer rechten Hand heranreifte.

Allerdings kam es natürlich allmählich zu einer Abnabelung - Heinz wollte nicht nur unterstützen und helfen, er wollte eigenständig arbeiten und gestalten und nach einigen Jahren machte er sich mit einigen Freunden selbstständig und mietete eine große, weitläufige Wohnung im vierten Bezirk, um von dort aus den Ablauf von Konzerten und später von ganzen Festivals zu dirigieren.

In der Frankenberggase 13.

Allerdings zwei Stöcke unterhalb der Wohnung, in der mein Vater auf Untermiete logierte.

Alles andere wäre doch ein vollkommen unglaubwürdiger Zufall gewesen . . .


© Axel Melhardt
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