Story des Monats

November 2004


 
EDDIE "LOCKJAW" DAVIS DIE DRITTE - I
 
Eddie "Lockjaw" Davis Eddie "Lockjaw" Davis, Art Farmer
Eddie "Lockjaw" Davis ts ... und hier mit Art Farmer flumpet


Das wird sicher eine lange Geschichte werden, denn EDDIE war viel mehr als nur ein Musiker, der sehr oft im JAZZLAND gastierte - er war ein enger Freund von Tilly und mir im wahrsten Sinne des Wortes.

Unvergeßlich zum Beispiel, wie er jedesmal am Ende seiner Woche im 'landl im Geiste die vergangenen Tage vor seinen (scharf rechnenden) Augen vorüberziehen ließ, um mir dann seine Gage zu nennen. Nicht ein einziges Mal verrechnete er sich zu seinen Gunsten, wenn die ansonsten treuen Fans ausnahmsweise einmal vor dem Glotzophon sitzen geblieben waren. Ich schrieb jeden Tag die Einnahmen auf, er speicherte alles in seinem phänomenalen Gedächtnis und niemals differenzierten unsere Endsummen um mehr als USD 50.- bei seiner Wochengage.

Er war ja in seiner viel zu kurzen Karriere nicht nur Musiker, er arbeitete auch längere Jahre hindurch als Agent für Kollegen und als Booking-Agent und Roadmanager für die große COUNT BASIE Organisation. Daher kannte er natürlich alle Ecken und Kanten des musicbusiness, und seine oberste Maxime war immer, daß ein Jazzclub, in dem man spielen will, auch überleben muß. Was hat ein Jazzer auf längere Sicht davon, wenn er mit seinen hohen Gagen einen Club zugrunde richtet - dann ist die Spielmöglichkeit dahin, und der Owner macht aus dem Jazzlokal ein Restaurant oder gar eine Disco, mit der er ohnehin mehr verdient. Clubs, die echten Jazz bieten und noch dazu "live", sind ohnehin auf der ganzen Welt nur sehr selten zu finden.

Und er wußte natürlich auch, daß man mit Jazz und Blues wahrlich keine Goldenen Eier verdient, aber das ist ein anderes Kapitel.

In Nizza jedenfalls - wir sind schon wieder dort - nahm JAWS meine TILLY und mich immer wieder bei der Hand und schleppte uns (nicht widerstrebend) zu einem der dort auftretenden Stars - zu BENNY CARTER zum Beispiel -, stellte uns vor und erzählte von dem kleinen Club in Wien, in dem man eigentlich unbedingt spielen müßte, um wirklich zu wissen, wie der Jazz in Europa aussieht.

So kam es zu vielen Stargastspielen in Wien, JAWS war unser bester Werbefachmann und ohne seine Aktivität wäre die Musikstadt Wien um einige Jazzattraktionen ärmer geblieben.

Am meisten ärgerte er sich über unsere Medien. Zuerst konnte er es einfach nicht glauben, daß hochkarätiger Jazz in Wien so ignoriert wird. Er durchblätterte die Zeitungen, suchte nach entsprechenden Vorankündigungen, Kritiken und Nachschauen über seine ziemlich langen Gastspiele im JAZZLAND, denn überall, wo er auftrat, gab es ausführliche Kommentare in den Massenmedien.

Langsam nur gewöhnte er sich an die Ignoranz unserer Presse und wunderte sich umso mehr, daß seine Auftritte doch immer einigermaßen auf Resonanz stießen - wir machen eben unsere eigene Zeitung, erklärte ich, und zur Zeit verschicken wir noch immer weit über 5000 Exemplare der JAZZLAND-POST per altmodischer Schneckenpost und weit über 3000 per e-mail.

Die Wiener Musiker hatten ihn längst als "Ederl" adoptiert. Er kam schon zum Frühstück - so gegen Mittag - zu uns, kommandierte: "Break-fast, but fast!" in Richtung Küche, und TILLY komponierte einen Brunch aus Tee mit Zitrone, leicht getoastetem Weißbrot, Scrambled Eggs und ganz knusprig gebratenem Speck. Zufrieden gesättigt verkündigte er dann: "Now, the office!", und zog sich hinter meine Schreibmaschine zurück, um seine umfangreiche Post zu erledigen.

Dann kam der schönste Teil des Tages - wir saßen beisammen und spielten stundenlang die herrlichsten Platten. Im Gegensatz zu vielen anderen war er nicht daran interessiert sich häufig selbst zu hören. Er lauschte dem DUKE ELLINGTON ORCHESTER, liebte natürlich BEN WEBSTER und COLEMAN HAWKINS und war rundherum vielseitig und wißbegierig. Wir mußten ihm immer die Weltnachrichten übersetzen, die er sachverständig kommentierte ("This polish pope messes up evervthing!").

Und dann wartete er schon begierig auf das Abendessen, denn TILLY in der Küche war einer seiner Lieblingsanblicke ("She plays the pots like the BASIE-band!!"). Dann ab ins Hotel auf ein Nickerchen und endlich in den Club zum JAZZEN, auf das er sich Tag für Tag neu freute.

Das merkte man auch bei jedem Chorus. "lt's the end when the fans stop to come with their little tape-machines", meinte er und wechselte täglich sein Programm. Und wenn er schon ein Lied wiederholte, dann improvisierte er immer neue Soli, die denen am Vortag um nichts nachstanden.

Unerschöpflich war sein Ideenreichtum, seine Stimme war sicherlich einer der Originalsten im Jazz. Seine Herkunft aus der Swingära blieb unverkennbar, sein Stil siedelte sich schnell in einem Bereich an, für den man in seiner Jugend noch gar keinen Namen kannte - der Mainstream.

Nur herzlich wenig konnte er dem allermodernsten Jazz der 70-er und 80-er Jahre abfinden: "They are writing a book without knowing the words", meinte er.

Obwohl er niemals sein Instrument auf konventionellem Weg erlernt hatte, war seine Beherrschung des Tenorsax unübertroffen. Einmal kam er nach einer monatelangen Tourneepause nach Wien, verzehrte genüßlich sein Abendessen und packte dann drei Minuten vor neun Uhr sein Instrument aus der berühmten, mit Namen versehenen Lederhülle, blies einen schnellen Lauf von ganz oben nach ganz unten und sagte breit grinsend: "That's close enough for Jazz!". Es stellte sich heraus, daß er die ganze Urlaubszeit über keinen Ton geblasen hatte, und trotzdem seine Meisterschaft sofort wieder präsent war: "If you know your job, you know your job!"

(Fortsetzung im Dezember)


© Axel Melhardt
Story