Story des Monats

September - Oktober 2015


"Es gibt nichts, was auch nicht seine guten Seiten hat" – Dieses soeben von mir erfundene alt-persische Sprichwort kann wieder einmal seine Richtigkeit beweisen, denn so traurig ich auch bin, daß nun tatsächlich auch das zweite JAZZLAND-BUCH (2002 - Swing that Music – 30 Jahre Jazzland) ausverkauft ist, so sehr werde ich es genießen, in Hinkunft nicht mehr allzweimonatlich eine Story verfassen zu müssen, sondern aus dem umfangreichen Fundus der alten Geschichten nach Lust und Laune eine passende Story ausgraben zu können – so wie ja auch das Erste JAZZLAND-Buch (1992 - Geschichte und G'schichtln – 20 Jahre Jazzland) im Laufe der letzten Jahre hier verbraten wurde....
 
Grand Parade du Jazz
(Nizza zwischen 1974 & 1978)
 
George Wein, Sarah Vaughn, 1978 Eddie "Lockjaw" Davis Schäferhund Chico
George Wein, Sarah Vaughn, 1978 Eddie "Lockjaw" Davis ts Chico
 

Bei einem der ersten von Tilly und mir besuchten Jazz-Festival in Nizza war auch die große Sarah Vaughan engagiert. Lachend erzählte mir Eddie "Lockjaw" Davis über ihre Allüren. Sie bestand darauf mit einer großen Limousine vom Flugplatz abgeholt zu werden, der normale Shuttle-Bus, der die anderen Musiker vom 25 Minuten entfernten Flugplatz abholte, kam nicht in Frage. Diese Luxuskarosse mußte von einem livrierten Chauffeur gelenkt werden, der - und das war eine ganz besondere Bedingung - unbedingt von weißer Hautfarbe zu sein hatte. Grollend kam der Festival-Impressario den Wünschen der Diva nach.

Nach ihrem ersten Auftritt des Tages saß sie im Selbstbedienungs-Restaurant für Musiker, zu dem auch wir - dank Eddie Davis - Zutritt hatten. Ich ging an den Tresen, wahrscheinlich ein weiteres Chili Con Carne, oder - noch wahrscheinlicher - ein weiteres Bier zu holen, und erstarrte förmlich bei meiner Rückkehr vor Ehrfurcht. Die große Sarah saß auf einer Stufe und löste mit den Fingern sorgfältig gebratenes Hühnerfleisch von zarten Knöchelchen und fütterte damit unseren Chico, der diese ebenso weltberühmten wie wohlschmeckenden Finger nach Verzehr des Fleisches mit seiner Zunge sorgfältig von allen Fettresten befreite. Dabei plauderte sie munter mit Eddie, Milt Buckner und anderen Musikern und erhob sich dann kurz, um einen weiteren "Hendl-Haxen" für meinen deutschen Schäferhund zu holen, hockte sich wieder hin und fütterte weiter.

Nach Sättigung des wilden Raubtieres ging sie sich die Finger waschen, und ich gestand Eddie, daß ich die Welt nicht mehr verstand. Der kapriziöse Weltstar, der George Wein mit wirren Allüren halb in den Wahnsinn trieb, hockte auf dem Boden und fütterte einen wildfremden Hund.

Eddie lachte: "Das ist die wirkliche Sarah, die andere will sich mit Ihren vetragskonformen Forderungen bei Mister Wein nur dafür rächen, daß er den Festival-Vertrag so geschickt formuliert hat, daß er sie jetzt in halb Europa herumschicken kann, um sie bei Gala-Konzerten, bei denen er ein Schweinegeld verdient, auftreten zu lassen, ihr aber nur soviel bezahlt wie den anderen Musikern beim Festival."

Ein kleiner Nachtrag dazu, der im Buche nicht zu finden ist: Inzwischen habe ich meine Meinung über George Wein sehr geändert – auch wenn sich manche Musiker ausgenützt gefühlt haben sollten, so hat er immer die (fast) besten Gagen bezahlt und wenn ein Jazzer in finanzielle Schwierigkeiten gekommen ist (was im amerikanischen Gesundheitssystem fast unausweichlich ist), hat er vielfach großzügig geholfen und so manchen Weltstar vor dem sicheren Ruin gerettet.


© Axel Melhardt
Story