Story des Monats

Jänner 2004


 
Kenny Davern
 
Kenny Davern Wild Bill Davison
Kenny Davern cl Wild Bill Davison co


Ganz selten ist es uns nur passiert, daß wir Doppelbuchungen gemacht haben. Einmal - da war WILD BILL DAVISON schon fix ins 'landl engagiert - da irrte ich mich im Monat und wir hatten mit KENNY DAVERN einen zweiten Stargast. Abgesehen von den finanziellen Erwägungen, eine Traumkombination, die beiden hatten einige Jahre zuvor eine der schönsten traditionellen Jazzplatten aller Zeiten aufgenommen: "Jazz at the New School" mit DICK WELLSTOOD, EDDIE CONDON und GENE KRUPA.

KENNY stammt zumindest zu einem Viertel aus Wien - sein Großvater mütterlicherseits kam aus einer altehrwürdigen, jüdischen Bürgerfamilie und hieß HANS-EUGEN ROTH. Nach den entsetzlichen Ereignissen im Dritten Reich hat KENNY natürlich ein etwas gestörtes Verhältnis zu Deutschland, aber - wie so viele Amerikaner - ist er in Zeitgeschichte nicht allzu sehr bewandert, so daß er uns Österreicher vollkommen von jeder Schuld freispricht. Viel prekärer war WILD BILL's Einstellung zu der Vergangenheit. Er sah in Hitler eigentlich nichts anderes als die Verkörperung des Großen Diktators von Charlie Chaplin und hielt den ganzen Mummenschanz der SS-Schergen eher für lustig als bedrohlich. So sammelte er voll Naivität Relikte aus der Nazizeit, was wir allesamt nur schwer vertrugen - aber er tat es voller Unschuld, und sein musikalisches Genie überstrahlte diese eher dunkle Facette seines Charakters. Ich hatte damals für KENNY und WILD BILL ein Konzert in Graz organisiert - im letzten Moment konnte ich nicht mitfahren, und der junge Posaunist MICHAEL HOFFMANN chauffierte die Band in die Murstadt. Schon auf der Fahrt nahm WILD BILL sehr nervös so manche Erfrischung zu sich, rund um Graz verfuhr man sich und traf schließlich erschöpft und in BILL's Fall sehr erfrischt in der Konzerthalle ein. Hektisch liefen die Sets ab, WILD BILL blies hervorragend, KENNY nicht minder, und die Rhythmusgruppe mit BILL GRAH, BERNHARD GOTTLIEB und HORST BICHLER, der mir die Geschichte in Erinnerung rief, marschierte, daß es eine helle Freude war. Die Stimmung der Band ging auf das Publikum über, und als das Konzert zu Ende ging, verlangte die Menge enthusiastisch eine Zugabe. WILD BILL konnte aus zwei Gründen nicht mehr - sein Ansatz war sicherlich über Gebühr strapaziert, und der Whisky hatte ihn dermaßen erfrischt, daß er an keiner Zugabe Geschmack finden konnte. Während KENNY dem Publikum zuliebe noch ein beseeltes "Summertime" interpretierte, kramte WILD BILL in den Kulissen herum - leider erfolgreich. Plötzlich flog eine fast Iebensgroße Puppe dem verdutzten KENNY vor die Füße und hinter einem Vorhang prustete WILD BILL los: "I found Hitler's body".

Daß KENNY den Song zu Ende spielte, gehört zu den Spitzenleistungen an Selbstbeherrschung.

Ich bin mir allerdings sicher, daß KENNY am nächsten Abend den ganzen traurigen Vorfall wieder vergaß, denn da blies WILD BILL einen Chorus über "l've found a new baby", der so herrlich war, daß man ihm einfach alles verzeihen mußte.


© Axel Melhardt
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